Meine kleine Puppenwelt - Bücher aus dem Zeitgut-Verlag

 

 

 

 

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Bücher aus dem Zeitgut Verlag

Der Traum ist aus

Der Traum ist aus

Jugend im Zusammenbruch 1944 - 1945 - Geschichten und Berichte von Zeitzeugen. 
Aus der Reihe 'Zeitgut'. Zahlreiche Fotos und Dokumente.

Herausgegeben von Jürgen Kleindienst.

Zeitgut Verlag GmbH
April 2005 
gebunden 
343 Seiten

3933336317

 

 

€ 18,90 kaufen


Leseprobe

Merode, nahe Düren, Nordrhein-Westfalen;
30. November - 11. Dezember 1944

 

Paul Misch
Im Niemandsland

Tage und Nächte blickten meine Augen in dieselbe Richtung. Irgendwo im Wald und dahinter mußten die Angreifer sein. Mehrmals hatte ich einzelne rennen sehen, zwischen den Stämmen der Bäume vorbeihuschen. Gebückt, niemals aufrecht. In solchen Situationen war es ratsam, nicht den ersten Schuß abzugeben. Die Schützen des Maschinengewehrs MG 42, kaum fünfzig Schritt von mir entfernt, hielten sich offensichtlich an diese Regel. An diesem Nachmittag blieben wir von Artillerie- und Granatwerfersalven verschont. Aber es lag etwas in der Luft. Ich spürte Unbehagen.

Tatsächlich, jetzt kam ein ganzer Zug amerikanischer Infanterie auf mich zu, ohne erkennbaren Schlußmann. In wenigen Sekunden würden sie mir auf meinen mit Herbstlaub getarnten Stahlhelm treten. Ebensowenig wie ich "Eiserne Kreuze" an meiner Brust sammeln mochte, hatte ich das Verlangen, Bilder von mir erschossener Soldaten im Gedächtnis herumzutragen.

Aber ich mußte schießen. Aus allen Rohren feuerten sie zurück. Ohne Verzögerung, blitzschnell. Ihr leichtes Maschinengewehr zersplitterte alles. Vor, über und hinter mir. Glücklicherweise warf keiner eine im Nahkampf gefürchtete Handgranate. Es ging um Bruchteile einer Sekunde. Mein Kopf gab mir den klaren Befehl, die von mir bereits abgeschraubten Verschlußkappen meiner zwei Eierhandgranaten wieder aufzuschrauben, die Zünder nicht zu ziehen. Mein Zugführer, weit hinter mir, feuerte etliche Stöße aus seiner Maschinenpistole. Sonst war nur Einzelfeuer aus Karabinern zu hören. Was war nur mit unserer stärksten Feuerkraft los? Weshalb ballerten die Maschinengewehre nicht?

Ich preßte den Brief meiner Schwester Else-Martha an die Brust. "Daß wir siegen, ist doch klar", hatte sie mir zu meinem 17. Geburtstag vor zwei Tagen geschrieben. "Und wenn die Entscheidungsschlacht in Berlin ist", hatte sie noch hinzugefügt. Meine Schwester hörte zu Hause die Stimme der Propaganda, die Stimme Goebbels, aus dem Volksempfänger. Sie hatte keine Ahnung. Was wohl unser Bruder Ernst bei der Kriegsmarine machte? Und Else-Marthas Verlobter Willi in Rußland? "Daß ihr mir ja gesund wiederkommt!"
Sie wollte uns unversehrt zurück.

Die Angreifer glaubten, unsere Feuerkraft sei ausgelöscht. Ich lag in meinem Mauseloch in diesem verdammten, todbringenden Wald. Kameraden waren gefallen. Als das gegnerische Maschinengewehr endlich sein Tack-tack-tack eingestellt hatte, hob ich ganz langsam meinen Kopf. Zum Überlebenswillen gehörte ein gewisses Maß an Neugierde.

Die Amerikaner machten keine Anstalten, sich zurückzuziehen, vielmehr begannen sie, mit ihren kleinen Spaten sich einzubuddeln. Auch für sie war es in der Erde sicherer. Daß ich in ihrer Nähe war, ahnten sie nicht. Eine einzige gezielt geworfene Handgranate hätte mein Leben ausgelöscht. Wenn ihre Wachposten Pfiffe von sich gaben, ließen sie ihre Spaten zeitweise los. Hinter uns, im Dorf Merode, und um das mächtige Schloß detonierten pausenlos Granaten.

Es wurde Nacht. Ihre brennenden Zigaretten hätten Zielscheiben abgegeben. Aber würde ich mehr als einen Schuß aus meinem lahmen Karabiner abfeuern können? Bei dieser Übermacht? Würden meine Kameraden bis zu mir vorrobben können? Oder konnte ich es wagen, im Schutz des Granatenlärmes mein Mauseloch zu verlassen?

Überall lag raschelndes Laub. Über mir Wolkenfetzen. Aus gutem Grund hatte ich mich als Kriegsfreiwilliger zur Luftwaffe gemeldet. Statt am Himmel zu kämpfen, hatte man mich in eine fast aufgeriebene Fallschirmjägereinheit gesteckt. Wie sollte es nun weitergehen? War ich schon abgeschrieben? Hatte man mich bereits als vermißt gemeldet?

Der Gedanke überzulaufen kam mir nicht. Solche Gedanken hatten mir meine Ausbilder ausgetrieben. Für Führer, Volk und Vaterland zu sterben sollte höchste Ehre sein.

Ich wagte mich nicht, eine Camel-Zigarette anzuzünden, die ich aus dem Gepäck eines gefallenen Amis geklaut hatte. Eine ganze Stange sogar. Die goldene Uhr ließ ich an seinem Handgelenk. Angespannt lauschte ich in die Nacht. Ich hörte, wie die Soldaten leise miteinander redeten. Ihre Sprache verstand ich nicht. Dann schlief ich ein.

Bei Tagesanbruch wurde ich aus meinem befreienden Schlaf in die nackte Wirklichkeit zurückgerissen, als der fliegende Artilleriebeobachter der Amerikaner über den Baumwipfeln brummte. Jetzt konnte ich nicht mehr zurückrobben. Nach ihrem Frühstück griffen die Amerikaner in Richtung Hohlweg an. Sie liefen rechts, ganz nah an meinem Mauseloch, vorbei. Vom Waldrand meldete sich ein MG 42, woraufhin sich die Angreifer wieder in ihre schützenden Erdlöcher zurückzogen. Wie durch ein Wunder blieb ich auch jetzt unentdeckt. Der "Eiserne Gustav" mit seinen zwei Tragflächen und gierigen Augen lenkte daraufhin das Granatwerferfeuer auf den Waldrand und ins Dorf.

Von meiner Truppe nicht gesucht, von den Amerikanern nicht bemerkt, lag ich im Niemandsland. Zwei Tage lang und jetzt die zweite Nacht. Hunger? Durst?
Auf keinen Fall durfte ich in dieser Nacht wieder einschlafen, denn feindliche Soldaten wurden auch mal müde, und das war meine Chance.

Als Granaten am Waldrand einschlugen, rollte ich mich über das raschelnde Laub. Meinen Karabiner hatte ich zurückgelassen, er hätte mich nur behindert. Bei jeder neuen Salve kroch ich meinem Ziel ein Stück näher. Irgendwo mußten doch die eigenen Linien sein!
Plötzlich blickte ich in einen Gewehrlauf. Mein Schrei "Nicht schießen!" war schneller als das Abdrücken des Karabiners.
"Wo kommst du denn her?" fragte eine erstaunte Stimme.
Geschafft, ich war gerettet, vorerst.

Es war mir gelungen, nach dem Angriff der Amerikaner am 4. Dezember 1944 in Richtung Merode in der zweiten Nacht unbeschadet die Auffangstellung der 1. Fallschirmjägerkompanie zu erreichen. In einem Erdunterstand am Waldrand oberhalb des Schlosses Merode erfuhr ich, wo der Rest der 2. Kompanie im Dorf zu finden sei …

Amerikanische Soldaten vor dem zerstörten Schloß Merode. Hier und dahinter im Wald hatten wir uns in der Nacht vom 10. zum 11. Dezember 1944 verschanzt.

Am 10. Dezember 1944 bedrängten die Amerikaner den rechten Frontabschnitt außerhalb des Dorfes mit Panzereinheiten und erzielten einen Durchbruch. Das Dorf brannte an mehreren Stellen. Wir, der Rest der 2. Kompanie, mußten zurück in den Wald. Diesmal durfte ich mich mit Michael, einem erfahrenen

Fallschirmjäger, in ein vorhandenes Zweimannloch oberhalb des Schlosses verschanzen. Im Fackelschein brennender Häuser und Scheunen wurde etwas Eßbares verteilt. Uns wurde befohlen, unter allen Umständen durchzuhalten. Es würde bald Ersatz kommen. Vermutlich wußten die Offiziere von der ein paar Tage später beginnenden Ardennenoffensive.

Bevor wir einschliefen, erzählte mir Michael von seiner Verlobten in Bayern. Er würde bald Vater werden und strebte eine Ferntrauung an. Es mußte wohl während des letzten Fronturlaubs "passiert" sein.
Als es am Morgen des 11. Dezember hell wurde, sahen wir hinter uns im zerschossenen Merode fremde Fahrzeuge fahren und amerikanische Soldaten laufen. Um den mächtigen Baukörper des Schlosses herum war es ruhig geworden. Mit Widerstandsnestern hatte man kurzen Prozeß gemacht, denn schließlich wollte man selbst überleben.

Wir zwei waren uns einig: Ruhig verhalten und nachts absetzen! Nur jetzt nicht noch durch eine Dummheit Kopf und Kragen riskieren. Kontakt zu Vorgesetzten und zu Kameraden hatten wir nicht mehr. Meine Angst war riesengroß.

Bevor es wieder Nacht wurde, durchkämmten die Amerikaner den Wald. Ich ließ meinem älteren Kameraden den Vortritt, dann erhob auch ich die Hände. Unzählige Gewehrläufe waren auf uns gerichtet. Zum ersten Mal sah ich ganz nah farbige Soldaten. In ihren dunklen Gesichtern blitzten weiß ihre Zähne. Siebzehnjährige waren unter den fremden Soldaten nicht.


Oelsnitz, Sachsen - Bremen - Neerstedt, Niedersachsen
Januar-Sommer 1945

Renate Rochner
Könnte ich doch in die Zukunft sehen!

Seit 1943 lebte ich in Oelsnitz im Vogtland. Wir Schülerinnen der Bremer Oberschule für Mädchen an der Mainstraße waren durch die Kinderlandverschickung hierher gekommen und bei Familien untergebracht. Nachmittags durften wir die hiesige Oberschule nutzen.

Es war ein harter Winter 1944/45 mit viel Schnee und täglichen Schreckensmeldungen in den Wehrmachtsberichten von der Ostfront. Die Russen standen schon vor Breslau, und in Ostpreußen und Schlesien waren Hunderttausende auf der Flucht. Ich hatte unterm Dach, zur Straße hin liegend, ein eigenes kleines Zimmer. Eines Nachts im Januar 1945 wachte ich auf, weil ich von unten Knirschen im Schnee und ein Geräusch wie das Schnauben von Pferden vernahm. Im Dunkeln stieg ich auf den Tisch, um aus der Dachluke sehen zu können. Auf der Straße bewegten sich Pferdewagen mit runden Verdecks mühsam vorwärts, Menschen gingen daneben her, es dauerte Stunden, bis ich wieder einschlief.
Wir bekamen Einquartierung ins Haus, alle freien Zimmer mußten zur Verfügung gestellt werden. Die Schulen wurden geschlossen. In den Turnhallen wurden Flüchtlinge untergebracht. Wir Schülerinnen schmierten Brote, schälten Kartoffeln und erfuhren schreckliche Dinge. Der Treck zog weiter, in westliche Richtung. Doch bald trafen die nächsten Flüchtlinge ein, jetzt auch mit der Bahn. Wenn in den Personenwagen kein Platz mehr war, fuhren sie in Güterwagen. Kinder erfroren unterwegs.

In einer der letzten Schulstunden hatte eine vorlaute Schülerin gewagt zu sagen, was alle dachten: "Und wenn wir den Krieg nun mal verlieren?"
"Aber Kind! So etwas dürfen wir nicht einmal denken!" empörte sich unsere Lehrerin.
Unsere Lehrerinnen wollten nicht länger die Verantwortung für uns mehr als 60 Mädchen übernehmen. Jetzt warteten wir auf die Genehmigung aus Dresden, um mit dem Zug nach Hause fahren zu dürfen. Alle Züge waren brechend voll, und niemand konnte ohne weiteres einsteigen.

Auf die Fahrt durften wir außer Proviant nichts weiter mitnehmen. Daher zogen wir mehrere Kleidungsstücke übereinander an. Jede ältere Schülerin, ich selbst war inzwischen 15 Jahre alt, mußte eine jüngere beaufsichtigen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir unterwegs waren und wie oft wir umsteigen mußten. Das geschah wegen der Fliegerangriffe immer im Dunkeln. Ich erinnere mich an Nachtstunden in Köthen bei Leipzig. Menschen drängten sich mit ihrem Gepäck auf den Bahnsteigen. Keiner wußte, wann und wo der nächste Zug nach Norden abfuhr. Schließlich kam einer, der in Richtung Hannover fahren sollte. Abteile und Gänge waren schon überfüllt. Dennoch stürmten die Leute hinein. Am schnellsten waren dabei die Soldaten, sie stiegen gleich durchs Fenster ein. Wir hatten Glück, der Zug wurde nicht von Tieffliegern angegriffen. Am anderen Morgen erreichten wir Hannover, wo wir noch einmal umstiegen.

Unsere Mutter mit uns sechs Kindern, ich stehe hinten rechts. Das Foto, aufgenommen 1946, schickten wir unserem Vater nach Frankreich.


Endlich näherten wir uns Bremen. Die Domtürme standen noch, aber die Innenstadt war ein Trümmerfeld, aus dem nur Schornsteine und Mauerreste ragten. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg in die Neustadt, Straßenbahnen fuhren nicht mehr. Zwei Nachbarinnen, die mir begegneten, erzählten, daß meine Mutter mit meinen vier jüngsten Geschwistern auch gerade erst aus der Evakuierung zurückgekommen sei. Unser Vater verließ seinen Arbeitsplatz in Bremen, um meine Mutter mit den vier jüngsten Kindern aus der Lausitz zurückzuholen. Danach mußte er an die Westfront. Sie hätten den Zug über Dresden verpaßt und wären so dem grauenvollen Vernichtungsangriff auf diese Stadt entgangen.
Plötzlich war Fliegeralarm. Ich rannte in den Hochbunker in der Mainstraße.

Mein Bruder, 13 Jahre alt, der nach Reichenbach in Sachsen verschickt worden war, kehrte ebenfalls gesund zurück. In der Folgezeit kamen wir aus unseren Kleidern nicht mehr raus, ein Fliegeralarm jagte den nächsten. In unserer Siedlung gab es nur die berüchtigten Erdbunker, ausgehobene breite Gräben, mit Beton ausgegossen und einem Tonnengewölbe aus Beton versehen, das außen mit Erde bedeckt war. Diese Bunker wurden zu Massengräbern, wenn eine Bombe sie traf. Wir erlebten die sogenannten Bombenteppiche, als der Bremer Westen in Flammen aufging. Wir waren immer die letzten im Bunker, weil die kleinen Geschwister erst aus dem Schlaf gerissen, dann im Handwagen verstaut und hingefahren werden mußten. Die "Christbäume" standen schon über uns und die Nebeltonnen waren bereits in Aktion, ehe wir die Bunkertür erreichten. Eigentlich erwarteten wir jede Nacht unseren Tod. Könnte ich doch in die Zukunft sehen, mußte ich oft denken, dann wüßte ich, ob wir am Leben blieben.

Die Behörden beschlossen, daß Frauen und Kinder evakuiert und in der Umgebung von Bremen untergebracht werden sollten. Na, da freuten sich die Bauern!

Mit zwei Koffern und allen Geschwistern ging es per Bahn nach Neerstedt, südwestlich von Bremen. Dort stand ein Pferdewagen am Bahnhof, auf den so viele Frauen und Kinder wie nur möglich aufstiegen. Der Kutscher war ein 14jähriger Junge. Es war bereits dunkel. Über uns brummte ein feindliches Geschwader Richtung Bremen. Als einige Flak-Geschütze in der Nähe zu ballern anfingen, ging das Pferd durch, raste wie verrückt. Die Frauen und Kinder kreischten vor Angst. Bei der Unterbringung waren wir natürlich die letzten. Wer wollte schon eine Frau mit sechs Kindern aufnehmen?
Schließlich landeten wir auf einem heruntergekommenen Bauernhof in Wehe. Zwei Bettrahmen mit Matratze zu ebener Erde waren unsere Schlafstelle. In einer kleinen Küche konnten wir Essen kochen. Das Holz zum Feuern stahlen mein Bruder und ich anfangs im Dunkeln aus dem Schuppen. Hier konnten wir endlich nachts schlafen. Der Bäuerin nebenan halfen wir bei der Arbeit, dafür gab sie uns Milch, Kartoffeln und Butter. Mein Bruder lernte auf ihrem Hof sogar das Melken.

Die ländliche Idylle sollte nicht lange dauern. Beim Holzsammeln beobachteten wir einen Luftkampf und mußten mit ansehen, wie auch die Kühe auf der Weide beschossen wurden. Vom Westen her näherte sich die Front. Nachts hörten wir dumpfes Grummeln, das immer stärker wurde. Dann sogar einzelne Artillerieabschüsse. Für eine Nacht quartierten sich Soldaten auf dem Hof ein. Wir sahen ihnen zu, wie sie ihre MG-Munition aufzogen. Die jungen Männer waren gut gelaunt. Am nächsten Morgen waren sie verschwunden.
Als wir MG-Feuer hörten, wußten wir, daß die Front uns erreicht hatte. Weil wir uns im Haus nicht sicher fühlten, versteckten wir uns über Nacht in einer leeren Kartoffelmiete. Am nächsten Morgen saß meine Mutter draußen und weinte. Sie, die immer wußte‚ was zu tun war!

Jetzt bekam auch ich Angst. Wir vergruben unsere Papiere und unser Federbett. Die Bäuerin und ihre Mutter versteckten ihre Schinken und Mettwürste. Wir beschlossen, uns mit einem Fahrrad, auf das wir ein paar Sachen luden, auf den Weg nach Bremen zu machen. Als wir losgehen wollten, sahen wir, wie auf der Landstraße aus Ohe kommend, eine endlose Reihe von Panzern anrollte. Wir kehrten um, gingen zurück ins Haus. Wir fürchteten uns vor den feindlichen Soldaten. Sie kamen immer in Gruppen. Die ersten Amerikaner wollten nur Hühner und Eier, die nächsten bedrohten uns mit ihren Gewehren. Ein farbiger Soldat zwang meine Mutter in den Nebenraum und vergewaltigte sie.

Nachts überfielen Fremdarbeiter die Bauernhöfe. Vielfach rächten sie sich jetzt dafür, daß sie bei Nacht und Nebel aus ihren Ländern geholt und zur Arbeit in Deutschland gezwungen worden waren. Später brachte die Besatzungsmacht die Ostarbeiter vorübergehend in Lagern unter. Für uns waren es Nächte voller Angst. (...)


Fürth - Bexbach, nahe Neunkirchen, Saarland
28. Januar 1945-20. März 1945

Rudi Brill
Fronthelfer der Hitler-Jugend

Ich war 15 Jahre alt, als am 1. September 1944 mein Einsatz als Fronthelfer in Fürth begann. Zu Hause war ich in Zweibrücken, 30 Kilometer entfernt. In den Monaten bis Kriegsende habe ich meine Gedanken und Erlebnisse meinem Tagebuch anvertraut

Gerade nochmal davongekommen. Diese Aufnahme von mir entstand kurz nach Kriegsende.

Fürth, 28. Januar 1945: Ich hatte mir vorgenommen, täglich einen Psalm zu lesen. Wenn ich beim 150. angelangt bin, so hoffte ich, wäre der Krieg aus oder wenigstens der Einsatz. Grinsen muß ich über mich selbst, daß ich Leichtgläubiger dachte, nach spätestens drei Wochen sei der Einsatz vorbei. Nun dauert er schon fast fünf Monate. Schule? Existiert so was eigentlich noch?
Schulklingel, Klassenzimmer, Tafel, Landkarten, Hefte, Bücher, Pauker, Turnen, Englisch, Latein, Mathematik‚ Religion, Angst vor der Klassenarbeit, nichtgemachte und morgens fünf vor acht schnell abgeschriebene Hausaufgaben, der "Rex", blauer Warnbrief vor dem Sitzenbleiben, Schulärger mit den Eltern. Was war das eigentlich alles?

Jetzt ist das alles ausgetauscht durch: Einsatz, Trillerpfeife, Tagesplan, Pickel, Schaufel, Axt und Beil, Itze, unser Ausbilder, weltanschauliche Schulung, Singen von Liedern der Bewegung, Essenfassen, Geschirrspülen, Sockenstopfen, Knopfannähen, Fingernägel-, Schuh- und Unterkunftsappell, Waffenkunde, Marschieren, Exerzieren, Geländekunde, Postempfang, Briefeschreiben, Nacktbrausebad, Wäscheabgabe und Wäscheempfang, Aufenthaltsraum, Schulungsraum ... Das ist jetzt unser Lebenskreis. War jemals was anderes?

6. Februar: An den beiden kleinen Brücken an der Straße zum Bahnhof bauen wir Talsperren, damit das Tal unter Wasser gesetzt werden kann als Panzerhindernis. Wir kippen in den Wasserdurchlaß unter der Straße Sandsäcke, Bohlen und Steine und lassen nur eine kleine Öffnung, die leicht geschlossen werden kann. Bei all dem überlegen wir immer wieder, wer das alles mal beseitigen muß, die Panzergräben, Stellungen, Talsperren, Straßenhindernisse usw.

Den Eltern und Verwandten habe ich heute geschrieben, sie möchten auf ihren Briefen und Karten keinen Absender mehr angeben. Wenn ich eines Tages hier irgendwie verschwinde, soll niemand einen Anhaltspunkt haben, wo ich zu finden bin.

17. Februar: Paul brachte einen kleinen Transport von Jungen zur Auffüllung unserer Schar. Er erzählte von unserer zerstörten Stadt und bestätigte, daß unser Haus völlig ausgebrannt sei und die Säulen zwischen den Schaufenstern aussähen wie eine griechische Tempelruine. Auch die Dienststelle mußte umziehen in die Lammstraße. Sie ist ständig besetzt. Paul hat abwechselnd Tag- oder Nachtdienst. Trotzdem ist er viel besser dran als ich, denn er kann in Ixheim bei seinen Eltern wohnen; ich gönne es ihm. Er ist mir stets ein guter, freundschaftlicher Schulkamerad gewesen. Ein Jahr älter als ich, rechnet er damit, bald zum Reichsarbeitsdienst eingezogen zu werden. Wann werden wir uns dann einmal wiedersehen? Herzlich verabschiedeten wir uns voneinander: "Machs gut!"

Für die Neuankömmlinge sind wir nun schon alte Hasen. Unsere Gefolgschaft ist, eben weil sie so klein ist, doch sehr aufZack. Mit ltze vertrage ich mich seltsamerweise ganz gut. Vielleicht hat ihm imponiert, daß ich mein Versprechen gehalten habe und aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekommen bin. Nur der Bannführer ist für mich nach wie vor eine Schreckfigur. Zum Glück sehen wir ihn nicht oft.

22. Februar: Auf der Höhe 393 zwischen Fürth und Lautenbach ziehen wir Laufgräben zwischen den Bunkern. Auch 30 cm hohe Stolperhindernisse haben wir beiderseits der Straße angelegt. Das sind in die Erde gerammte Pfähle, über die einfacher Draht gespannt ist. Wir stellen uns plastisch vor, wie die dummen Amerikaner heranstürmen, stolpern und damit kampfunfähig werden. Hahahahaha!

3. März: Wie üblich marschierten wir zu unserer Baustelle auf der Höhe 393 zwischen Fürth und Lautenbach. Oben auf dem Berg stapften wir über ein weites Stück freies Land. Plötzlich tauchten ein paar Jabos auf, hinter einem Wald hervor und beschossen unten im Tal ein Auto. Da waren sie auch schon über uns und hatten uns entdeckt.

"Volle Deckung!" schrie ltze. Doch hier gab es keine. Kein Baum, kein Strauch, kein Graben, kein Loch in der Nähe. Wir warfen uns platt auf den Boden.

Die vier Flugzeuge stießen tiefer und umkreisten uns. Wir wußten, daß sie auf einzelne Leute, auf Zivilisten, ja sogar auf Frauen, auf Bauern auf dem Felde schossen. Und wir lagen da wie auf dem Präsentierteller. Kaum war ein Flieger weg, war schon der nächste da. Einer flog so niedrig, daß wir das Gesicht des Piloten erkennen konnten, der seitlich aus dem Kabinenfenster auf uns schaute. Bei jedem Anflug glaubten wir, jetzt schießt er, und drückten uns an die kalte Erde. 30 Jungen über wenige Quadratmeter kreuz und quer. Wenn das kein lohnendes Ziel war!

Mit einem Mal ging eine der "Thunderbirds" noch tiefer und stieß direkt auf uns zu. Es war wirklich ein "Donnervogel", fürchterlich das Dröhnen des Motors. Wir krallten uns noch fester an den Boden. Einer schrie, daß es das Donnern übertönte: "Jetzt ist es aus!"
Wir glaubten das alle. Eine MG- oder Bordkanonengarbe, eine kleine Bombe in unsere dichte Masse - da wäre keiner davongekommen. Mit 15 will man ja noch nicht sterben!
Ein Stoßgebet, verzweifelt, innig wie noch nie, ging mir durchs Herz: "Lieber Gott, hilf uns!"

Eine unbeschreibliche, nie vorher gekannte Ruhe kam über mich. Ich fühlte es fast körperlich: Gott hält jetzt seine Hand über uns. Tausend Gedanken schossen mir in diesen Sekunden durch den Kopf. Jetzt muß er schießen, jetzt, jetzt!

Doch der Bomber dröhnte über uns hinweg, war vorbei, hatte nicht geschossen. Jaulend zog die Maschine hoch und auch die nächste flog weiter. Halb betäubt vom Lärm staunten wir, daß wir noch lebten. Wir hoben die Köpfe von der Erde. Noch ein paarmal umkreisten sie uns, jetzt höher. Sie waren sich wohl nicht schlüssig. Was sie sich wohl im Sprechfunk sagten?

Als die Flugzeuge für einen Augenblick die Kurve etwas größer nahmen, taumelten wir, noch halb betäubt, hoch, rasten den Berg hinunter, dem Laufgraben zu. Wir rannten, wie uns noch nie ein Führer zum Laufen gebracht hatte, wir rannten um unser Leben, erreichten den Graben und ließen uns hineinfallen, einer über den andern. "Es zittern die morschen Knochen", haben wir oft gesungen. Wir haben zwar keine morschen Knochen, aber unsere zitterten noch lange. Unsere Gesichter strahlten, wir fielen uns um den Hals: "Mensch, nochmal davongekommen, Menschenskind!"

Ein Dankgebet wie noch nie stieg aus meinem zerspringenwollenden Herzen empor. Die Welt war neu für uns, das Leben begann noch einmal. Da waren Bäume, Sträucher, Gras, Erde, Erde, die man fassen und durch die Finger rieseln lassen konnte. Alles war wieder da, wir waren noch da! Aus sicherer Deckung schauten wir zu, wie die Jabos noch eine Weile kreisten. Warum sie nicht geschossen haben? fragten wir uns.

"Die werden uns in unseren graugrünen Drillichen für Kriegsgefangene gehalten haben", vermutete einer. Das klang plausibel. Für mich aber war es klar: Einer, der die Macht dazu hat, hatte die Hände des Piloten am Abzug der Bordwaffen festgehalten, damit er nicht schießen konnte.

Als die Maschinen endgültig verschwunden waren, liefen wir langsam und mit weichen Knien den Berg hinauf zu der Stelle, an der unser Leben beinahe geendet hätte. Wir sammelten unsere verstreut liegenden Werkzeuge ein und gingen an die Arbeit. Den ganzen Morgen über war das Geschehene unser Gesprächsthema. Mit welchen Gefühlen ich das jetzt, nach zwölf Stunden, schreibe, kann ich nicht ausdrücken. Aber was ich gewiß tun werde, heute und alle Tage, die mein Leben noch zählen wird, ist, dankbar sein für jeden neuen Tag und für das noch einmal geschenkte Leben. (...)

Bexbach, 17. März: Paul ist tot! Tot!
Das Wort glotzt mich an in seiner ganzen unbegreiflichen Sinnlosigkeit. Ich sitze im hintersten Kämmerchen des Pfarrhauses, Tränen laufen über mein Gesicht. Ich wollte den 46. Psalm noch einmal lesen, der am 14. März dran war, aber ich schloß das Neue Testament wieder. Wäre doch alles nur ein böser Traum!
Ich möchte aus ihm erwachen, zu Hause in Zweibrücken im Bett. Die Turmuhr müßte sieben schlagen. Ich könnte aufstehen, zur Schule gehen, Paul treffen. Doch es hilft alles nichts - es ist kein Traum. Paul ist tot! Dieser fröhliche, lebenslustige Freund ist tot!

 (...)


Schönbühl, Landkreis Straubing-Bogen,
im Vorderen Bayrischen Wald
April/Mai 1945


Josef Fendl
Winnetous Enkel

… Ich kam nach Straubing, wo ich in einem dreiwöchigen Lehrgang zum Volkssturmmann ausgebildet wurde. Die "Uniform" der jüngsten Vaterlandsverteidiger ließ sich als Gleichnis für die letzten Wochen des Tausendjährigen Reiches ansehen: Die Sechzehnjährigen trugen alle ihre gewöhnliche Werktagskleidung, ich zum Beispiel lange Strümpfe, sogenannte Hochwasserhosen und eine geflickte Trachtenjoppe mit grünen Eichenlaub-Applikationen. Dazu hatte man jedem aus den letzten, noch verbliebenen NS-Beständen eine Armbinde des "Bundes Deutscher Mädel" verpaßt!

In diesem Aufzug sollte ich mich mit meinen 16 Jahren als Volkssturmmann den Feinden entgegenstellen.


Am Ostermontag, etwa drei Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner, durfte ich mit meinen Volkssturmkameraden hinter der romanischen Kirche St. Peter zum ersten und, Gott sei's gedankt, einzigen Mal in meinem Leben scharf schießen. In den frischen Bombentrichtern an der Alten Donau wurden wir in der Technik des Handgranatenwerfens unterwiesen und mittels Papp-Plakaten wurde uns gelehrt, wie man - fast - mühelos russische T34-Panzer knackte. Einer der beiden Hauptleute, die dies mit emphatischen Worten zu demonstrieren versuchten, mußte es wissen. Ihm hatte ein solches stählernes Ungetüm ein Bein abgedrückt. Dem anderen hatte man an einer der zahlreichen Fronten seinen rechten Arm zerschossen, damit das ewige Deutschland leben konnte, wie es damals hieß.

Als ich nach dieser Nahkampfausbildung und mit dem moralischen Imperativ nach Hause kam, im Falle einer notwendigen taktischen Frontverkürzung aus jedem Kellerloch auf den entmenschten Feind zu schießen, notfalls auch auf Verräter aus den eigenen Reihen, war mein Vater gerade damit beschäftigt, den wenigen Hausrat im Garten zu vergraben. Er fettete seine Pistole ein, die er aus dem Ersten Weltkrieg mit heimgebracht und nie abgeliefert hatte, obwohl er mehrfach dazu aufgerufen worden war, und wickelte ein paar alte Lumpen darüber, bevor er sie zusammen mit Blechtassen und Bratpfannen der stummen Mutter Erde anvertraute. Was nicht vergraben werden konnte, wie das Fahrrad oder einige Möbelstücke, wurde im Keller eingemauert.

Nach dem Verstauen des spärlichen Hausrats überlegten meine Eltern, wie sie verhindern konnten, daß ich mit meinen 16 Jahren in den letzten Kriegswochen noch zu den Waffen gerufen wurde. Favorit aller in Betracht kommenden Möglichkeiten war das Versteck in der Scheune. Mein Vater hatte es in tagelanger Arbeit und ganz im Geheimen hergerichtet. Er hatte zunächst alles Stroh auf die Tenne gegabelt, an die rückwärtige Scheunenwand aus Brettern und Balken einen Unterstand gebaut, dann über dieser Bretterkammer und nach vorne zur Tenne hin das ganze Stroh wieder aufgerichtet. Meterhoch und zentnerschwer. Den Zu/Ausgang dieses Verstecks bildete eine "Tür", die mein Vater sorgfältig aus der Scheunenwand herausgeschnitten hatte. Eine dicke Schar dort aufgeschichteter Holzscheite ließ sie wie hinter einer Tarnkappe verschwinden.

 

Mein Elternhaus in Schönbühl im Vorderen Bayrischen Wald.
Zeichnungen: Josef Fendl


Ein großartiges Versteck für einen Jungen in einem Alter, in dem man doch noch lieber von tapferen Rothäuten las als mit scharfen Panzerfäusten zu hantieren. Leider wurde es nichts mit dem Bezug dieser genial ausgedachten Wohnhöhle, deren Bewohnbarkeit ich nur allzu gern getestet hätte. Meine Mutter hatte Angst, daß der Pueblo-Indianer beziehungsweise Volkssturm-Deserteur in diesem selbstgewählten Gefängnis ersticken könnte.

Möglichkeit Nummer zwei: eine Krankheit. Natürlich nicht so ein ordinärer Schnupfen oder gewöhnliches Hals- oder Bauchweh, sondern schon etwas Ordentliches, Vorzeigbares. Mein Vater wußte da einige Hausmittel aus dem Krieg anno 1914/18. Wenn man sich diesen Roßkuren unterzog, bekam man schlimmes Fieber oder andere eigenartige Zustände, die es einem absolut unmöglich machten, stehenden Fußes dem größten Feldherrn aller Zeiten zu folgen.

Aber auch diese Möglichkeit gefiel meiner Mutter nicht, weil man ja nie wußte, welche Nachwirkungen man damit nolens volens in Kauf nahm.

Nach langem Hin und Her und manchem Für und Wider blieb die Variante eines verbrannten Fußes übrig. Mit einem defekten Hals konnte man ja immer noch marschieren und Handgranaten werfen. Also: Verbrühung, ein Arbeitsunfall, wie er in der Landwirtschaft immer wieder mal passiert. Mit Feigheit hatte das nichts zu tun. Im Ersten Weltkrieg sollte es nach Vaters Erzählungen öfter vorgekommen sein, daß sich tapfere Soldaten in den Fuß schossen. Ganz unabsichtlich, versteht sich.

Die Szenerie war bedrückend und beeindruckend zugleich. Auf dem Herd brachte meine Mutter einen Topf heißen Wassers zum Kochen, während sich mein Vater eine Arbeit im Stall suchte. Ich, der designierte Held des Tages, stellte mich barfuß auf den Stubenboden und nahm selber die Prozedur vor. Ich rückte den Topf von der Herdplatte und goß mir mit dem Mut des römischen Helden Mucius Scaevola, der als Gefangener der Etrusker seine rechte Hand im Herdfeuer verbrannte, um so seine Furchtlosigkeit zu beweisen, die brodelnde Wassersäule auf den linken Fuß. (...)


Brzeszcze, nahe Auschwitz*), Oberschlesien;
30. Dezember 1944-Anfang Februar 1945

 

Günter Aichele
Der rettende Engel

Unverkennbar wurde die Lage mulmiger. Wir 16jährigen Schüler der Dillmann-Oberschule in Stuttgart waren seit Juli 1944 als Luftwaffenhelfer nahe Brzeszcze in Oberschlesien eingesetzt und sollten hier die Industrieanlagen gegen Luftangriffe schützen. Am 30. Dezember 1944 kam der Befehl, einige Geschütze für den Erdkampf, also zur Panzerbekämpfung, vorzubereiten. Bei tiefgefrorenem Boden, eisigem Wind und Schneefall waren Geschützwälle aufzuschaufeln. Die Geschütze sollten auf Lafettenkreuze gestellt und mit einigen letzten Stammsoldaten als mobile Flak-Kampftrupps an kritische Stellen der Front geworfen werden.

Jetzt wurde es auch für uns Luftwaffenhelfer ernst. Am 12. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive an der Weichselfront. Hauptmann Ullmann, der den abwesenden Batteriechef Engel vertrat, wurde am 15. Januar ebenfalls abkommandiert. Neuer Chef war nun Leutnant Hansen, ein junger Kerl. Wir mußten annehmen, daß er "Halsschmerzen" hatte und sich ein Ritterkreuz verdienen wollte, denn er war fest entschlossen, die Stellung mit uns zu verteidigen. Er ließ alle Vorbereitungen dazu treffen: Vorräte hinter die Geschützwälle schaffen, das Eis in den Laufgräben aufpickeln.

Auf Transport. Im Juli 1944 waren wir Luftwaffenhelfer aus Stuttgart zum Schutz der Industrieanlagen nach Oberschlesien, nach Brzeszcze bei Auschwitz, verlegt worden.

Wir rüsteten uns für einen Winterkrieg. Aus Leinentüchern wurden weiße Tarnumhänge fabriziert, die Stahlhelme weiß angestrichen. Mein Schulkamerad Hermann Burkhardt mußte eine Schablone anfertigen, mit der auf Armbinden, die aus weißen Bettlaken geschnitten waren, in grüner Farbe und mit einem Dienststempel versehen, die Aufschrift "Deutsche Wehrmacht" aufgetragen wurde. Damit sollte den Feinden kundgetan werden, daß sie es mit echten Kombattanten zu tun hatten, denn nach der Haager Landkriegsordnung bestand zwischen Kombattanten und waffentragenden Nichtkombattanten ein wesentlicher Unterschied. Letztere brauchten nicht wie Kriegsgefangene behandelt zu werden. Unsere HJ-Armbinden hatten wir schon verbrannt und uns dafür den Luftwaffenadler auf die Uniform genäht. Die Armbinde (siehe Seite 120) besitze ich heute noch.

In unserer Stellung bei Brzeszcze herrschte Sorge und Angst. Wir erfuhren, daß die Rote Armee im Norden schnell nach Westen vorstieß. Russische "Hiwis" ("Hilfswillige") verschwanden, nachdem sich einige bereits im Oktober davongemacht hatten. Durch das Flak-Fernrohr konnten wir im Süden über den Beskiden die Angriffe russischer Flugzeuge ausmachen. Es hatte sich ein Schlauch gebildet, an dessen östlichem Ende wir saßen. Auschwitz war den Angreifern offenbar nicht wichtig genug, um es in frontalem Angriff zu erobern.
Artilleriefeuer schien uns zu umkreisen. Russische Maschinen überflogen jetzt häufig unsere Stellung. Hansen verbot deren Beschuß, weil er die Munition für den kommenden Erdkampf sparen wollte. (Die 8,8 cm-Flak war wegen ihrer durchschlagenden Wirkung gegen Panzer gefürchtet.) Wie die zu Festungen erklärten Orte sollten wir Hitlers Wellenbrecher-Taktik in die Tat umsetzen. Wehe, wenn der Kommandant eines solchen Wellenbrechers kapitulierte, weil weiterer Widerstand sinnlos geworden war!
Uns erreichte die Meldung, daß die Untergruppe ihr Quartier geräumt habe und daß dort einiges zu holen sei. Wie Hermann in sein Tagebuch notierte, bestand das Ergebnis unseres Beutezuges in Fleischbüchsen, Wein, Keksen kistenweise und Kunsthonig. Ich selbst kann mich nur an weiße Skier entsinnen, von denen wir einige Paar in die Stellung geschleppt hatten.

Von der Räumung des Konzentrationslagers Auschwitz erfuhren wir offiziell nichts. Allerdings notierte Hermann in seinem Tagebuch, Bremer Luftwaffenhelfer hätten ihm erzählt, daß sie sich aus den Depots der SS reichlich bedient hätten: "Hunderte von Stiefeln, Pelzmäntel, Pelzwesten, Wäsche, Füllfederhalter, Uhren, Gewehre mit Munition, Pistolen, Konservenbüchsen, Wurst, Speck, Säue, alles, und die Polen plündern. Brotlaibe zu Tausenden und wir hungern, weil nichts mehr in die Stellung vorkommt."
Hermann hatte auch beobachtet, daß auf der Straße Auschwitz - Brzeszcze Autos, Gespanne, Fuhrwerke, Krads, sogar ein Pferdepark mit unzähligen Tieren zurückrollten. Am 20. Januar notierte er Detonationen in sein Tagebuch, die von der Sprengung des Hydrierwerkes herrühren sollten.

Mitten in diesem Irrsinn geschah ein Wunder: Am 24. Januar, zur Mittagszeit, erschien wie aus einer anderen Welt in Gestalt von Hauptmann Engel unser rettender Engel - zwei Tage, bevor es zu spät gewesen wäre!

Er war gleich von Flakhelfern umringt. Wir trauten unseren Ohren kaum, als er zu uns sagte: "Na, Kearls, jetzt vaschießn wa unsere Munition und dann gehn wa stiftn."

Jetzt ging es "nur" noch darum, die Munition möglichst militärisch sinnvoll zu "vaschießen", damit nicht gegen den "Führerbefehl" gehandelt wurde. (Keine Stellung durfte geräumt werden, solange noch Munition vorhanden war.) Die Lösung war Sperrfeuer mit Hilfe eines auf dem ehemaligen Schießplatz Rajsko stationierten vorgeschobenen Beobachters der Feldartillerie. Dieser war mittels Feldtelefon mit der Batterieleitung verbunden. Wo genau wir hinschossen, weiß ich nicht. Rajsko lag auf dem geraden Weg nach Auschwitz, nicht ganz in der Mitte …

Gegen 19.30 Uhr kam der Abmarschbefehl für die Luftwaffenhelfer. Die letzten Soldaten der Batterie und die Vorgesetzten blieben noch kurze Zeit, um die Geschütze zu sprengen und die Baracken anzuzünden.
Einen schriftlichen Marschbefehl hatten wir nicht, die Batterie sollte ja theoretisch beieinander bleiben. Wir hatten nur einen auf Butterbrotpapier gezeichneten Wegeplan. (...)

Januar 1945 - Rückzug im Winter


Buchenwald und Denstedt, bei Weimar - Hamburg
Anfang April-Ende Juni 1945

Günther Jung
Das Dienstsiegel von Denstedt

Es war Ende Juni 1945, ein heißer Sommer. Vom Dammtorbahnhof bis zur neuen Wohnung meiner Eltern - das alte Haus in Brandsende war 1943 ausgebombt worden - mochten es noch 800 Meter sein. Was erwartete mich daheim? Hinter mir lag eine Ewigkeit.
Anfang 1943 waren meine Klassenkameraden vom Jahrgang 1927 als Luftwaffenhelfer eingezogen worden. Sie wurden auf der Elbinsel Hanöfersand ausgebildet. Obwohl erst Anfang 1928 geboren, meldete ich mich freiwillig zur Flak, um nicht ein Jahr später mit "Fremden" dienen zu müssen. Luftwaffenhelfer zu sein empfanden wir als etwas Besseres als den "Dienst" in der Hitler-Jugend, auch wenn beim monatlichen Wochenendurlaub die HJ-Armbinde zur Uniform getragen werden mußte. Doch die wurde meistens gleich nach Verlassen der Flak-Stellung abgenommen.

Im Juli 1943 gab es die ersten großen Luftangriffe auf Hamburg. Englische und amerikanische Bomber kamen zu Hunderten über die Elbe geflogen. In sommerlich warmen Nächten schossen wir stundenlang - in Badehose und mit Stahlhelm - auf zumeist unsichtbare Ziele am dunklen Himmel. Die knappen Essensrationen wurden aufgegessen, sobald größere Bomberverbände über Helgoland im Anflug nach Osten gemeldet waren. Lieber am nächsten Tag hungern. Denn wir wußten nie, wie die Nacht zu Ende gehen würde. "Pech gehabt" - ein häufig benutzter Ausdruck jener Tage - war ein Teil des notwendigen Seelenpanzers. Nur so ließen sich die furchtbaren Nachrichten von Tod und Elend ertragen. Im ungeliebten militärischen Drill dieser Jahre haben sich wohl zwei Fähigkeiten entwickelt, die im späteren Leben hilfreich waren: das rechtzeitige Vorausahnen von Gefahren und eine manchmal hilfreiche Portion Fatalismus.

Zusammen mit drei meiner Hamburger Kameraden gehörte ich Anfang April 1945 zu einer Flak-Erdkampftruppe, die zuletzt am Stadtrand von Weimar, in bedrückender Nähe des Konzentrationslagers Buchenwald, eingesetzt war. Nun als "richtige" Soldaten der Luftwaffe sollten wir das immer kleiner werdende "Großdeutsche Reich" verteidigen. Dabei hatten wir deutschen Städten längst russische Namen wie Berlinograd oder Hamburgovskaja gegeben.

Das Foto zeigt mich, vorn links, als Höhenricht-Kanonier an der 10,5 cm-Flak.


Überraschend war für uns, daß die Amerikaner offenbar feste "Dienstzeiten" hatten, denn nachts konnten wir in unserer Kaserne in Weimar noch ruhig schlafen. Nur morgens mußten wir rechtzeitig in unseren Erdlöchern sein, wenn die ersten Jagdbomber von Westen her anflogen. Es war für uns deprimierend, daß wir mit unseren Karabinern allenfalls auf Tiefflieger schießen konnten. Wenn die Amis ihre Bombenlast abgeworfen hatten, flogen gelegentlich Zigarettenpackungen aus dem Cockpit hinterher. Darüber wunderten wir uns schon.

Als der Geschützdonner bereits zu hören und zu spüren war, trieben SS-Aufseher gequälte KZ-Insassen nachts in Richtung Osten. Man wollte die "Volksfeinde" vor dem Anrücken der Amerikaner in andere Lager verbringen. Die ausgehungerten Häftlinge konnten sich kaum auf den Beinen halten. Viele hakten sich beim Nebenmann unter oder sie stützten sich gegenseitig. Brach einer von ihnen vor Erschöpfung zusammen, wurde er durch Genickschuß getötet. In unseren Erdlöchern hockend, mußten wir verzweifelt mit anschauen, was hier vor sich ging. Gern hätten wir irgend etwas für die armen Menschen getan. Aber was hätte es geholfen, einen SS-Mann zu erschießen? Aus dem Lager wären andere nachgerückt.

Mit den ersten warmen Tagen im Jahr kamen sie dann: Am 12. April 1945 nahmen die Amerikaner Weimar ein. Wir versteckten uns im nahen Wald bei einer Fasanerie. Indessen konfrontierten die amerikanischen Truppen die Bevölkerung mit den Realitäten des Konzentrationslagers Buchenwald. Mehrmals am Tag wurden Einwohner Weimars in der Innenstadt auf Lastwagen verladen und zum KZ gefahren. Blaß und schweigsam kamen sie zurück.
Am nächsten Tag liefen meine Hamburger Kameraden und ich einfach los, heraus aus dem Wald, irgendwohin, wo nicht mehr geschossen wurde. Erste Tauschgeschäfte mit ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern klappten ganz gut. Zigaretten gegen Kleidungsstücke, die keine deutschen Uniformteile waren. Wir erreichten Denstedt, sieben Kilometer nordöstlich von Weimar gelegen. Ein Rittergut wie aus dem Bilderbuch mit einem Wehrturm und Scharten um die Gebäude. Amerikanische und deutsche Soldaten hatten sich hier in der Nacht zuvor aus ihren Panzern heraus beschossen. Der Pferdestall war total ausgebrannt. Wir vier Jungen waren auf dem Hof willkommen und durften bleiben. Es mußte vieles aufgeräumt werden.

Meine Hamburger Klassenkameraden vom Jahrgang 1927 und ich waren 1943/44 als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Ich stehe vorn rechts.


Wir sollten uns um die Kühe und Kälber im Stall kümmern, denn die polnischen und russischen Zwangsarbeiter, die hier gearbeitet hatten, waren inzwischen auf und davon. Um 4 Uhr morgens weckte uns der Schweizer mit energischem Klopfen an unser Zimmerfenster. Anfangs hatten wir große Abneigung, wenn nicht gar Ekel vor dem Stalldreck. Das Ausmisten der 84 Stallplätze, Füttern und Tränken der Tiere, das alles sollte bis zum Frühstück erledigt sein. Wir bräuchten viel zu lange, machte uns der Schweizer täglich in breitem thüringischem Dialekt klar. Die schwere Arbeit ging uns Stadtjungen eben nicht so leicht von der Hand.

Das Dorf hatte nur gut 100 Einwohner. Die kleinen Häuser lagen, am Gutshof beginnend, beiderseits der engen Straße. Wie überall zu dieser Zeit waren fast nur Frauen, Kinder und Alte im Dorf. Die Amerikaner fuhren ständig Patrouille, so daß wir selbst abends den durch Mauern gut geschützten Hof nicht verlassen konnten. Es war besser, die ungeliebte Arbeit im Kuhstall zu verrichten denn als Kriegsgefangener in einem der riesigen Lager mit unbestimmter Zukunft zu landen. So beschränkten wir unsere Spaziergänge auf den kurzen Weg um einen hinter dem Gut gelegenen kleinen Teich, der von der Straße her nicht einsehbar war.

Ein weiteres Problem war die Melker-Chefin. Sie hatte drei Töchter, die sie wohl gern mit uns verkuppelt hätte. Wir könnten doch zu Pfingsten mit ihnen wandern gehen, sie wolle auch einen Kuchen backen. Die Mädchen fürchteten wir zwar nicht, aber die amerikanischen Patrouillen um so mehr. Als die Chefin begriffen hatte, daß wir partout nicht mit ihren Töchtern ausgehen wollten, tröstete sie sich mit der frappierend einfachen Feststellung: "Ist ja klar, die Jungen kommen aus Hamburg, sicher besitzen ihre Väter große Schiffe, da wollen sie eben nicht mit unseren Töchtern gehen."
Nach und nach ging uns die Arbeit im Stall schneller von der Hand. Es war ziemlich heiß. Hatten wir anfangs noch unsere Knobelbecher getragen, liefen wir jetzt längst barfuß, so blieb uns wenigstens das lästige Stiefelputzen erspart. Den Stallgeruch trugen wir ohnehin mit uns herum.

Es muß Anfang Juni 1945 gewesen sein, wir saßen gerade zwischen unseren doppelstöckigen Betten am Mittagstisch, als plötzlich vom Hof her unverständliche Laute zu uns hereindrangen. Kurzes Poltern an der Tür, dann standen sie auch schon im Zimmer: Männer in Lederjacken, Russen oder Polen. Eine junge Südländerin übersetzte: "Ihr SS - raus!"

Ehemalige Buchenwald-Häftlinge waren auf Jagd nach ihren Peinigern. Auf dem Hof mußten wir uns alle mit erhobenen Armen und dem Gesicht zur Wand stellen. Zuerst wurden wir nach Waffen durchsucht. Zum Glück war die Pistole, die ich mir in den letzten Kriegstagen organisiert hatte, längst in dem nahen Teich versenkt worden. Dann mußten wir unsere Ärmel aufkrempeln, weil man sehen wollte, ob wir die Blutgruppentätowierung der Waffen-SS tragen. Jetzt wäre unsere Luftwaffen-Uniform möglicherweise eine gute Legitimation gewesen.

Plötzlich hieß es, wir sollten mitkommen. Im nächsten Moment jedoch tauchte der deutsche Leutnant auf, der, von den Amerikanern offiziell aus dem Kriegslazarett in Weimar beurlaubt, mit seiner Frau ebenfalls auf dem Gutshof wohnte. Er trug noch seine Wehrmachtsuniform. Der Offizier war nun wichtiger, sein selbstbewußtes Auftreten hatte die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich gelenkt. Sie führten ihn schließlich ab, während wir anderen zurückbleiben durften. Von nun an war uns klar: Wir hatten nicht nur die amerikanische Gefangenschaft zu befürchten, sondern auch die Verwechslung mit SS-Schergen. Daher beschlossen wir, schon sehr bald in Richtung Norden aufzubrechen. Von der Gutsherrin, einer sympathischen alten Dame, wurden wir enttäuscht, sie gab uns nur ein paar Scheiben Brot mit auf den Weg. Vielleicht hatten auch wir sie enttäuscht. Wer konnte von heute auf morgen unsere Arbeit im Stall übernehmen?

Wir brauchten unbedingt Papiere, denn unsere verräterischen Soldbücher waren längst im Backofen der Gutsküche verbrannt worden. Der alte Dorfschmied fungierte jetzt als Bürgermeister, jedenfalls verfügte er über einen Gemeindestempel. Er unterschrieb uns ein Dokument "To whom it may concern", das uns als landwirtschaftliche Lehrlinge auswies, die zurück in ihre Heimatstadt Hamburg wollten. Ob unser Schulenglisch zusammen mit dem Gemeindesiegel vor den Militärkontrollen der Amerikaner bestehen würde?

Unser Heimweg - zu Fuß von Thüringen bis in die Rothenbaumchaussee von Hamburg - war lang und beschwerlich. Dreimal hatte uns die Gefangennahme durch Amerikaner und im Norden durch Engländer gedroht, wäre da nicht das kleine, amtliche Papier mit dem Dienstsiegel des Dorfschmieds von Denstedt gewesen. Zuletzt brachte uns ein Lastwagen der Hamburger Polizei, beladen mit Kartoffeln aus der Lüneburger Heide, über die Elbe. Nichts ging unkontrolliert von britischem Militär durch dieses Nadelöhr. Unser "Ausweis" half sogar noch drei jungen Mädchen, die sich mit uns auf den Kartoffelsäcken über die Elbe schmuggeln ließen. Die englische Patrouille verglich mehrmals die verzeichneten Namen mit der Anzahl der Personen. Unsere doppelten Vornamen auf dem Papier verwirrten den Tommy derart, daß er das Zählen - one, two, three - bald aufgab.

Wir vier Kameraden trennten uns am Deichtormarkt. Das letzte Stück des Weges ging nun jeder allein. Allein mit seinen Gedanken, seinen Ängsten. Ob das Haus noch stand? Ob die Eltern und die Geschwister noch lebten?

Vor dem Curio-Haus sah ich plötzlich Militärpolizei und Soldaten in Jeeps. Sollte ich so kurz vor dem Ziel umkehren? Bestimmt würden sie an meinen Knobelbechern und der Uniformhose mit Koppel erkennen, woher ich kam. Oben trug ich allerdings eine zerschlissene Baumwolljacke und über der Schulter hing eine recht zivile Tragetasche. Der geschnitzte Wanderstock konnte sie vielleicht vom Koppelschloß ablenken. Nur gelassen bleiben und unauffällig vorbeigehen.

Ich hatte Glück, es gab keine Kontrollen. Wie ich bald erfuhr, wurden hier von der britischen Besatzungsmacht die ersten Kriegsverbrecherprozesse durchgeführt. Die Absperrung hatte dem ungehinderten Zugang der Militärrichter und Angeklagten ins Gericht gegolten. Während des Krieges hatten in dem Gebäude Gesellschaftsabende und Parteiveranstaltungen der NSDAP stattgefunden.

Schon von weitem sah ich, daß das Haus, in dem meine Eltern wohnten, noch stand. Auch das Dach war heil. Also mußten sie noch am Leben sein. Angespannt betrat ich das unversehrte Treppenhaus. Selbst der Lift war intakt. An der Wohnungstür hing noch das Schild mit unserem Namen. Auf mein Klingeln öffnete mein Bruder Walter. Mit ihm hatte ich am allerwenigsten gerechnet. Vierzehn Jahre älter als ich, war er viel länger Soldat gewesen und nun schon vor mir zu Hause. Unsere Mutter kam in die Diele geeilt und fiel weinend in Ohnmacht. Neun lange Monate hatten meine Eltern nicht gewußt, ob ihr jüngster Sohn noch lebte.


Inhalt

Orte 8
Chronologie 1944/45 10
Vorbemerkungen 16

Paul Misch
Im Niemandsland 19
Wolfgang Diebold
Im Strudel der Ereignisse 28
Elisabeth Dörffel
Zwölf Tage bis Berlin 41
Benno Götzke
Zweimal Prisoner of War 53
Gerda Keller-Freitag
Und ich lebte weiter 67
Carl Raddatz
Endzeit 77
Renate Rochner
Könnte ich doch in die Zukunft sehen! 95
Klaus Lazarek
Der Zug – unser Zuhause 101
Günter Aichele
Der rettende Engel 114
Günter Paff
„Geh doch hin, wo du hergekommen bist!“ 125
Siegfried Allzeit
Letzte Tage in Königsberg 130
Marlis Föhr
Die Brücke – unser Schicksal 147
Kurt Klose
Geheime Kommandosache 152
Rudi Brill
Fronthelfer der Hitler-Jugend 159
Dorothea Helbig
Dienst in der Festung 180
Harry Banaszak
Meldegänger 187
Margit Heidecker
Im Kunstbunker 192
Josef Fendl
Winnetous Enkel 207
Klaus Richter
Nun erst recht! 214
Helmut Schinzel
Mit 17 fängt das Leben an 228
Günther Jung
Das Dienstsiegel von Denstedt 243
Charlotte Schyma
Kriegsdienst auf Rügen 251
Joachim Meyer-Quade
Brückenwache 262
Änne Behrends
Der Weg ins Ungewisse 277
Karl-Heinz Götzl
Brennesseln – das kleinere Übel 282
Wolfgang Herchner
„Und grüß mir Hamburg!“ 285
Rolf Zabel
Gershwin 292
Dietwart Nehring
Besiegte und Sieger 299
Irmgard Notz
Die Schreckenstage 308
Siegfried Dostal
Die Letzten der Oderfront 315
Ingeborg Hoffmann-Sagebiel
In uns ist Hoffnung 327

 

Mit freundlicher Genehmigung des Zeitgut-Verlages
Bilder: © Zeitgut-Archiv

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